Fred Rubin

Fred Rubin ist Bildhauer, dessen Material sich seit 15 Jahren fast ausschließlich aus Einbauten, Mobiliar, Lampen, Objekten, Dekorationsstücken und ganzen Gebäudeteilen ehemaliger Repräsentationsbauten und Machtzentralen der DDR zusammensetzt. Das meiste stammt aus dem mittlerweile abgerissenen Palast der Republik, anderes aus dem Außenministerium der DDR, das 1995/96 abgerissen wurde, dem Staatsratsgebäude, das heute eine private Eliteuniversität beherbergt sowie dem Zentralkomitee der SED, das nach umfangreichen Um- und Anbauten 1999 vom Auswärtigen Amt des wiedervereinten Deutschlands bezogen wurde. Als Fred Rubin 1994 von Paris, wo er bei Christian Boltanski studierte, nach Berlin kam, interessierte sich - jenseits der ideologischen Gesten von Ostalgie und Vernichtung - kaum jemand für die zeitgeschichtliche und ästhetische Dimension des Inventars dieser Bauten, so dass es ihm mit subversivem Geschick gelang, hiervon große Mengen zu übernehmen. In einem von ihm selbst als Rotationsrecycling beschriebenen Prozess begann Fred Rubin, durch Umnutzung und delikate Infiltrierung in andere Bauten und Formen die gesicherten Objekte in neue Zusammenhänge zu überführen und damit in Bewegung zu bringen.

Kennzeichen der so entstandenen Installationen ist, dass sie nahezu vollständig in ihren neuen Funktionen aufgehen. So bespielte Fred Rubin seit 1995 die temporären Standorte des legendären Berliner Clubs WMF mit dem vom ihm gesicherten geschichtsträchtigen Mobiliar. Neben Ledermöbeln aus dem Außenministerium der DDR verpflanzte er hierfür die komplette Bowling-Bar des Palasts der Republik in den dritten Standort des WMF in der Burgstraße. Aber auch Überwachungskameras aus dem Palast der Republik wurden installiert und überwachten, für alle auf Monitoren im Raum sichtbar, das Partygeschehen - selbst auf den Toiletten. Auf ähnliche Weise entstanden die weiteren temporären Standorte des Clubs, die Automatenbar, zwei Restaurants, ein Frisör-Laden, eine Galerie-Lounge und ein Studio von MTV in Hamburg. Daneben entwickelte Fred Rubin mit Lampen aus dem Zentralkomitee der SED und dem Palast der Republik Lichtinstallationen für große öffentlich genutzte Um- und Neubauprojekte wie den Potsdamer Nikolaisaal oder das 2006 errichtete Nationale Tanztheater "Pavillon Noir" in Aix-en-Provence in Frankreich.

Folgte die Überführung der Dinge in das Berliner Nacht- und Partyleben noch dem Avantgarde-Prinzip der 90er Jahre, durch Aneignung wertlos gewordener (Geschichts-)Räume auf spielerische Weise neue Formen der Verschmelzung von Geschichte, Kunst und Leben freizusetzen, so zielen die Installationen für größere Bauvorhaben und etablierte Zusammenhänge darauf, die Dinge direkt im öffentlichen Raum zu verwahren. Dass die Installationen dabei auf den ersten Blick lediglich wie bloßes Interieur wirken, ist Teil des Konzepts und verfolgt neben der teils paradoxen Sinnverschiebung letztlich das subversive Ziel einer Neudefinition des gesellschaftlich zugesprochenen Werts der aus dem Blick geratenen Bedeutung der Dinge. Das Prinzip des Rotationsrecyclings dient dabei nicht nur der Aufwertung des als wertlos erachteten Materials, sondern auch dem Schutz der Dinge selbst. Ihr Aufgehen im Neugebrauch verbirgt sie zugleich, entzieht sie dem ideologischen Zugriff der Wertvernichtung und hebt sie auf für eine mögliche Neubewertung.

Automatenbar

Die 2002 entstandene, nur 35 Quadratmeter große Automatenbar in der Münzstraße in Berlin, für die Fred Rubin aus seinem Fundus der Dinge die Einrichtung zusammenstellte, wurde als privater Verein gegründet und stand seinen Mitgliedern Tag und Nacht offen. Aber nur diesen. Den Zutritt regelte eine Magnetkarte, die durch ein Lesegerät an der Eingangstür, die aus dem Außenministerium der DDR stammte, gezogen werden musste. Verspiegelte Scheiben verhinderten den Einblick von Außen. Zusätzlich überwachten Kameras die Straße, aber auch den Innenraum selbst, übertrugen die Bilder auf Überwachungsmonitore und verwandelten die Bar so in eine absurde Kontrollinstanz, die sich selbst und das normale Leben der sich gerade neu installierenden Mitte Berlins rund um die Uhr überwachte. Die Einrichtung der Bar bestand aus fahrbaren Lampen, an die Decke montierten Stühlen, und einer Ansammlung alter Automaten. Wegen der damals gerade erst erfolgten Währungsumstellung mussten die Automaten noch mit DM bedient werden, weshalb ein spezieller Münz-Wechsler Eurostücke wieder in DM-Münzen zurück tauschte und die wertlos gewordene Währung wieder zu einem begehrten Gut machte. Für kurze Zeit entwickelte sich die Automatenbar in einem wilden Crossover so zu einer Enklave entwerteter Zeitgeschichte.

Halb-Wert / Zeit

Die von Fred Rubin eigens für das Ausstellungsprojekt Berlin 89/09 konzipierte Lampeninstallation Halb-Wert /Zeit nutzt den Freiraum Museum als Zwischenlager für die ortlos gewordene Ding-Geschichte und transformiert sie temporär zu einer überdimensionalen Raumskulptur. Ausgangsmaterial der Installation sind zwölf Deckenleuchter, die aus dem Empfangsgebäude des ehemaligen Amts für Atomsicherheit und Strahlenschutz der DDR (SAAS) in Berlin Karlshorst stammen, das in nächster Zeit abgerissen werden soll. Fred Rubin erwarb das Lampen-Ensemble laut Kaufvertrag direkt von der Bundesrepublik Deutschland und entwarf für jeden der zwölf Leuchter als Transport- und Lagermöglichkeit eine offene Stahlkiste, in der die Lampen eingehängt sind. Für die Installation wurden die Kisten in den Ausstellungsraum gebracht, ünereinander gestapelt und über dicke Kabelstränge mit einem Schaltpult verbunden, das die Beleuchtung steuert. Über Kameras werden die Lampen wie eine radioaktive Hochsicherheitsfracht ständig überwacht. Ein daneben stehender Baukran fährt zudem eine der Lampen-Kisten zur Decke des Museums, an die bereits ein Leuchter installiert ist. Der Titel der Installation Halb-Wert / Zeit verweist zum einen auf den Prozess des allmählichen Abnehmens der Strahlung radioaktiver Stoffe und bezieht sich damit auf den Ort, aus dem die Lampen stammen. Zugleich zeigt sich in der Bezeichnung aber auch noch einmal das Konzept der langfristigen Wert-Rückgewinnung durch das Rotationsrecycling. Fred Rubin präsentiert die ortlosen Leuchter als derzeit noch gefährliches aber zugleich auch wertvolles und zu schützendes Gut, dessen ideologische Aufladung mit der Zeit abnimmt und den Blick wieder frei gibt für die ästhetisch delikate Dimension der Dinge.

Guido Fassbender